Neue Kaminspitze für das Abfallkraftwerk RZR Herten:
Pro Jahr werden rund 650 000 Tonnen kommunale Siedlungs-, Gewerbe- und Industrieabfälle im Abfallkraftwerk RZR Herten thermisch behandelt. Ein wesentlicher Beitrag für eine positive CO2-Bilanz. Denn der Betrieb des Abfallkraftwerks spart immense Mengen fossiler Energieträger und entlastet dadurch Klima und Umwelt.
Durch den nachhaltigen Einsatz auf Deponien, in der Kreislaufwirtschaft, der Logistik und im RZR Herten spart die AGR rund 261 000 Tonnen sogenannter CO2-Äquivalente ein. Das entspricht der „Reinigungskraft“ einer Mischwaldfläche mit der Ausdehnung von gut
36 000 Fußballfeldern.
1982 in Betrieb gegangen, wird das Abfallkraftwerk RZR Herten kontinuierlich den technischen Entwicklungen angepasst.
Insgesamt verfügt man am Standort Herten somit über sechs Verbrennungslinien, die für eine optimale thermische Behandlung der Abfallstoffe sorgen.
So beispielhaft wie die aktuelle Verbrennungstechnik präsentiert sich auch die Rauchgasreinigung des RZR Herten mit seiner aufwendigen Filtertechnologie. Mit ihr stellt das Abfallkraftwerk sicher, dass der Ausstoß in der Regel bei weniger als zehn Prozent der gesetzlichen Grenzwerte liegt.
Grundlage dafür ist nicht zuletzt auch das ausgesprochen engmaschige Kontroll- und Revisionsmanagement des Betreibers. Hier sind die Vorgaben außerordentlich hochgesteckt – auch im wahrsten Wortsinn.
Zum Beispiel, wenn es um die beiden 100 Meter hohen Kamine des Kraftwerks geht.
Obwohl der Einsatz neuer technischer Materialien und der optimierte Betrieb der Verbrennungslinien sehr lange Inspektionsintervalle der Kaminröhren zulassen würden, führt das RZR alle 18 Monate eine Inspektion der Schlote durch. Eine Sorgfalt und Verantwortung, die sich auszahlt. Zum Beispiel in Form ausreichender planerischer Spielräume für anstehende Ertüchtigungsmaßnahmen.
So zeichnete sich bei der Begutachtung der Mündungsspitzen am Kamin zweier Verbrennungslinien im Sommer 2012 frühzeitig ein Handlungsbedarf ab. Eine der beiden stählernen Mündungsspitzen des Kamins würde nach nunmehr über 20 Jahren zuverlässigen Betriebs bald auszutauschen sein. Kein leichtes Stück Arbeit.
Schließlich ging es hier um richtig viel Gewicht – um über eine Tonne Stahl, um genau zu sein. Und um richtig viel Höhe: um 100 Meter über Grund. Ein Job für Spezialisten, gar keine Frage.
Fündig wurde das RZR Herten im benachbarten Marl, dem Stammsitz der deutschen GBT Bücolit GmbH. Die GBT-Unternehmensgruppe ist einer der größten deutschen Spezialisten für Anlagenbau, Anlagensanierung und -optimierung sowie Stahlapparatebau und Beschichtungstechnik. Mit mehr als 300 Mitarbeitern ist man weltweit aktiv. Unter anderem in den USA, in China und Indien.
Als Entwickler zahlreicher hochbeständiger Beschichtungsstoffe speziell für Rauchgasreinigungs- und Abfallverbrennungsanlagen bringt GBT zudem die erforderliche materialtechnische Kompetenz mit – ein entscheidender Aspekt für die Verantwortlichen der Betreibergesellschaft AGR. Weil ihr Einsatzgebiet besondere Expertise erfordert.
Die in Rauchgasreinigungsanlagen von Kraftwerken und Abfallverbrennungsanlagen eingesetzte Technik beruht vorwiegend auf dem Prinzip der Nasswäsche. Sie erzeugt spezifische korrodierende Umgebungsbedingungen in den Prozessanlagen und Rauchgaskanälen.
Infolge unterschiedlicher Anlagenausführungen und individueller Fahrweisen weist praktisch jede Rauchgasreinigungsanlage ein eigenes Profilbild durch chemische, thermische und mechanische Beanspruchung auf. So auch die Anlage des Abfallkraftwerks in Herten.
Für die Beschichtung der neu zu bauenden und aufzusetzenden Kaminspitze entschieden sich die GBT-Ingenieure zusammen mit ihrem Auftraggeber für ein System aus der breiten Palette ihrer Beschichtungsverfahren: für das System BÜCOLIT V47-36, ein Novolac-Vinylestherharz mit eingebundenen ECR-Glasmatten.
BÜCOLIT V47-36 weist sehr gute Kennwerte hinsichtlich chemischer, thermischer und mechanischer Beanspruchung sowie exzellente Diffusionsbeständigkeit auf. Die Beschichtung ist temperaturbeständig bis 180 °C, in Einzelfällen sogar bis 200 °C.
BÜCOLIT-Beschichtungssysteme lassen sich punktgenau auf die verschiedenen Einsatzbedingungen abstimmen . Also auch auf solche in 100 Meter Höhe über dem RZR Herten.
Doch zunächst einmal musste entstehen, was beschichtet werden sollte. Es galt, einen absolut identischen „Klon“ der altgedienten Stahlmündungsspitze zu schaffen. Gefertigt wurde er im Werk der HAW Linings GmbH in Bornum am Rande des Harzes.
Mit der HAW Linings GmbH hat die GBT-Firmengruppe nicht nur den Erfinder der industriellen Gummierung in ihren Reihen. Gleichzeitig gehört sie zu den führenden deutschen Spezialisten des Stahl- und Apparatebaus. Hier entstehen Stahlbauteile wie Apparate, Druckbehälter, Rohrleitungen und Zubehörteile. Und eben auch die neue Kaminmündungsspitze des Abfallkraftwerks in Herten.
Planung, Projektierung, Fertigung, Beschichtung, Logistik und Montage: Es waren diese formschlüssigen Synergien innerhalb der GBT-Unternehmensgruppe, die die AGR-Entscheider überzeugten. Weil sie davon ausgehen durften, dass das komplette Projekt technologisch aus einer Hand geplant, zeitlich lückenlos organisiert und nahtlos realisiert werden würde. Komme, was da wolle…
Doch zunächst kam es, wie es laut Plan nicht sollte: Das altgediente Mündungsteil klammerte sich regelrecht an seinen angestammten Platz. Durch die Jahrzehnte in luftiger Höhe war die Spitze fest mit dem sie haltenden Gegenflansch „verwachsen“, die verbindenden Schrauben unlösbar damit verbacken. Es gab nur eine Lösung: das Abtrennen der Spitze samt Flansch von einem innen an der Kaminwand anliegenden Stahlring. Ein erheblicher zusätzlicher Aufwand, der aber keinesfalls den ursprünglichen Zeitplan beeinträchtigen durfte.
Und es gab eine weitere Herausforderung: Mensch und Material mussten im Inneren der Kaminröhre bis auf 100 Meter transportiert werden. Hier zeigte sich, was Erfahrung ausmacht: Innerhalb weniger Stunden projektierte und installierte das GBT-Spezialistenteam eine Befahreinrichtung mit Korb und Winde. Bis hinauf in 93 Meter Höhe. Dann verengte sich der freie Raum auf nur noch 1,60 Meter Durchmesser – zu wenig für den Förderkorb. Es galt also, rund sieben weitere Meter bis zur Arbeitsstelle am innenliegenden Stahlkranz zu überbrücken. Das gelang mit dem Einbau eines Gerüsts bis knapp unterhalb des Stahlrings, von dem die alte Mündungsspitze abgetrennt werden sollte. Was denn auch mit nur geringem zeitlichen Mehraufwand gelang.
Keine Minute mehr Zeit hatte parallel ein weiteres GBT-Team. Bei ihm galt es, im Austausch gegen den unplanmäßig entfernten alten Gegenflansch „über Nacht“ einen neuen zu fertigen. Er sollte direkt an der neuen Kaminmündungsspitze befestigt und mit ihr zusammen am Stahlring des Schlots verschweißt werden – also an der Position des zuvor entfernten Endrohres. Auch diese Herausforderung meisterte GBT – und lieferte pünktlich am Montagetag im Januar 2014 im RZR Herten an. Zum letzten Akt des großen Schauspiels: Dem Aufsetzen der Mündungsspitze in schwindelerregender Höhe per Schwerlastkran.
Hier gelang ebenfalls die Punktlandung 100 Meter über dem Grund. Und somit der zeitgerechte Abschluss eines überraschend herausfordernden Projekts.
Gut 30 Jahre dürfen nun ins Land gehen, bis diese Mündungsspitze wieder derart viel Aufmerksamkeit erfordert. So lange wird sie Wind und Wetter trotzen mit ihrer sorgfältigen Beschichtung auf hochwertigem P265GH-Stahl. Ganz auf Nachhaltigkeit ausgelegt – wie alles im zukunftsweisenden Abfallkraftwerk RZR in Herten.